DE
Das Problem wirtschaftlicher Funktionen von Burgen in der frühen Piastenzeit im 10. - 13. Jahrhundert ist seit Jahren Gegenstand von Mediävistendiskussionen. Viele neue Elemente zu dieser Diskussion brachten Entdeckungen, die während archäologischer Forschungsarbeiten an diesen Burgobjekten, im grossen Maßstab in den Nachkriegsjahren durchgeführt wurden. Die einleitende Interpretation des damals gewonnenen Quellenmaterials hatte grossen Einfluβ auf entgültige Gestaltung der schon früher in der Geschichte und Archäologie des Mittelalters verbreiteten Theorie einer slawischen „Burg-Stadt”. Zu den Grundelementen dieser Theorie gehörten Behauptungen über beträchtliche Einwohnerzahl der Festungen in der Piastenzeit und ihre grosse gesellschaftliche sowie berufliche Differenziertheit. Diesen Burgen wurde sowohl die Rolle von militärischen und administrativen Zentren wie auch, sogar im höheren Ausmaß der Zentren für Produktion und Handel beigemessen. Nach Meinung des Verfassers bestätigen die bisherigen, auf schlesischem Gebiet geführten archäologischen Untersuchungen, die Richtigkeit der Bezeichnung schlesischer sensu stricto Kasteilaneienburgen als „frühe Städte” jedoch nicht. Trotz immer noch nicht bester Datierungsgrundlagen zeigen die Forschungsergebnisse, daβ die Burgorganisation vom Ende des 10. Jahrhunderts gebildet wurde um als ein völlig reifes System von der Hälfte des 11. Jahrhunderts bis zur zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu bestehen. Eine Analyse der, dank archäologischer Untersuchungen aufgestellten Landkarte der frühmittelalterlichen Ansiedlung in Schlesien zeigt, daβ die Festungen aus der Piastenzeit in Zentren früherer Stammes-Siedlergruppierungen sowie an der Provinzgrenze entstanden waren. Um diese in leerer Umgebung gegründeten Grenzfestungen bildeten sich kleine Siedlungen, ein Keim des zukünftigen Burgbezirks. Die Existenz bedeutender Zahl der Burgbewohner war zweifellos mit ihrer militär-fiskalischen Funktion verbunden. Archäologische Funde in schlesischen Burgen scheinen die Behauptung über ihre grosse Besiedlungsdichte zu verneinen. In eingehendstens untersuchter Burg in Opole konnten im 12. Jh. höchstens 160 Gebäude sein, wovon mehr als die Hälfte Wirtschaftsgebäude waren. Dies ergibt sich aus Analyse ihrer Kehrichtverschmutzung und ihrer Bauart sowie aus Funden in ihrem Inneren. Demzufolge die früher, hauptsächlich aufgrund von Entdeckungen in Opole, rekonstruierten Burgeinwohnerzahlen in Höhe bis 1000 Personen pro ha Fläche, sind als zu hoch eingeschätzte zu betrachten. Die Untersuchung der um die Breslauer Burg befindlichen offenen Siedlungen zeigten dagegen, daβ Entdeckung einer Grossen Zahl von Gegenständen innerhalb der Burg durchaus nicht auf die Tätigkeit der dortigen Handwerkswerkstätten deuten, wenn gleichzeitig derartige Werkstätten durch viel zahlreichere und eindeutigere Funde belegt, in ihrer unmittelbaren Nähe tätig waren. Standorte der handwerklichen Produktion sind auf Grund archäologischer Funde sehr schwer zu lokalisieren. Es kommt daher schwer denjenigen Gelehrten, die anhand einiger, manchmal sogar fertiger Kunstgegenstande, über das Bestehen einer solchen Produktion in der Burg selbst urteilen zuzustimmen. Wie bisher, jedenfalls in schlesischen Burgen, gilt als bestätigt nur eine solche, keine handwerkliche Kenntnisse voraussetzende, Aktivität der Burgbewohner wie Schuhwerkreparaturen oder Bleibearbeitung. Im Gegensatz zur handwerklichen Tätigkeit wird militärischer Charakter der Einwohneraktivität in den Piastenburgen Schlesiens nicht nur durch archäologische Funde in Gestalt zahlreicher Militaria bestätigt. Darauf weisen auch zahlreiche Andeutungen in Schriftquellen aus dem Gebiet Polens, Böhmens und Ungarns der Piastenzeit hin. Die schlesischen Festungen waren hauptsächlich durch ihre militärische Besatzungen bewohnt. Sie hatten nicht nur Verteidigungsaufgaben sondern zogen auch im untertänigen Burgbezirk die durch das fürstliche Recht geforderten Leistungen und Dienste ein. Die Rolle der Produktions- und Austauschzentren, angesichts der immer zahlreicherer Entdeckungen in Nähe der Kastellansburgen ist nicht wie bisher den Burgen selbst, sondern den in ihrer Nähe gelegenen offenen Siedlungen zuzuschreiben. Diese waren es, die zusammen mit den Festungen im 11. und 12. Jahrhundert die Siedlungskomplexe mit Mehrheit der für spätere Lokationsstädte charakteristischen Funktionen bildeten. Forschungsarbeiten der letzten Jahre haben bewiesen, daβ die bisherige Fund-,Armut” in den festungsnahen offenen Siedlungen hauptsächlich durch geringen Ausmaß ihrer Erforschung verursacht war. Die Theorie der „Burg-Stadt” beeinflusste die Interpretation der Funde und sogar die Dokumentations- und Veröffentlichungsart. Deshalb ist ihre Änderung oder. Modernisierung” verhältnismässig schwer durchzufuhren. Das unmittelbare Resultat davon war die auf einigen unsicheren Funden gegründete Behauptung über die Existenz in der Burg verschiedener handwerklicher Fachgebiete, die Interpretation von im geringen Ausmaß untersuchten Kastellansburgen als mehrgliedriger Festungen u. drgl. Die nach archäologischen Quellen sowie schriftlichen Überlieferungen durchgeführte Rekonstruktion des Netzes von Austausch Zentren im frühmittelalterlichen Schlesien, lässt die frühpolnische Burgorganisation als ein Netz von Zentren, eigentümlich für eine Wirtschaft mit entwickelter, maximaler Ausbeutung der dort wohnender Bevölkerung dienender, Distributionskontrolle zu interpretieren. Die Entstehung einer Burgorganisation war mit der Eingliederung Schlesiens im 10. Jh. in den Piastenstaat verbunden. Organisierung der Produktion und der Distribution beschleunigte wesentlich die wirtschaftliche Entwicklung dieser Provinz und schuf zugleich die notwendige Grundlage für die Entstehung der Lokationsstädte, die sich, auch aus Initiative der Piastendynastie, im 13. Jh. zu bilden begonnen haben. Dies dürfte durch die Tatsache bestätigt werden, das fast alle der „frühstädtischen”, im 10. und 11. Jh. Entstandenen Siedlungskomplexe ihre Kontinuität in neben den ehemaligen Burgen gegründeten Lokationsstädten gefunden haben.