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Einschiffskirchen mit orthogonalen Chorräumen waren in der Architektur des Mittelalters schon ab Mitte des 7. Jahrhunderts zu finden. Die ersten von ihnen wurden dabei fast gleichzeitig in mindestens zwei Zentren, die höchstwahrscheinlich voneinander völlig unabhängig waren: Austrasien und Northumbria errichtet. Ende des 10. Jhs gab es Einschiffskirchen schon in den meisten mittel- und westeuropäischen Ländern, von Irland und Nordengland bis zu den subalpinen Gebieten Italiens, und von den Pirenäen bis zu dem bereits christianisierten Polen. Ausschlaggebend für die rasche Verbreitung dieser architektonischen Form war in den meisten (aber nicht in allen) Fällen die bei der Realisation unkomplizierte Form der Einschiffskirche. In Anbetracht des Mangels an Merkmalen, die zur stilistischen Unterscheidung dienen könnten und wegen der Große der Gebiete, auf denen diese Kirchen zu finden sind, kann eine stilistisch-formelle Analyse als Methode zur Feststellung ihres Ursprungs und Datierung wegen ihrer Unzuverlässigkeit nicht angewandt werden. Orthogonale Presbyterien dieser Kirchen entstammen genetisch der Apside. Das Presbyterium, das die selben Aufgaben wie ein Apsidensanktuarium zu erfüllen hatte, war mit ihm funktionell und ideell gleich. Die Bedeutung beider Lösungen folgte aus ihrer hierarchisch gleich en Position in der Konfiguration des Horizontalgrundrisses der Einschiffskirche. In der von R. Krautheimer definierten mittelalterlichen Auffassung der Ähnlichkeit reichte es, daß das orthogonale Presbyterium mit dem, das die Form eines Halbkreises hatte, identisch war und den Halbkreis ersetzte. Sicher ist es aber, daß das Holzmaterial keinen Einfluß auf diesen Prozeß hatte. Er läßt sich aber auch nicht mit dem niedrigen Niveau der damaligen technischen Fertigkeiten erklären. Die Ursachen für das Vorkommen der Austauschbarkeit beider Formen im Mittelalter lagen höchstwahrscheinlich tief in der Sphäre der küstlerischen Faktoren selbst. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Errichtung einer Einschiffskirche praktisch relativ kleiner Aufwände, Fertigkeiten und Bauerfahrung bedurfte. Am wichtigsten scheint es, daß es bei der inhaltlichen, also “visuellen” Identität zwischen der orthogonalen und halbkreisförmigen Formen, im Mittelalter auch die uneingeschränkte Möglichkeit ihres gegenseitigen Austausche vorhanden war. Dies wird eindeutig durch die Nachforschungen über die Ostteile der Einschiffskirchen bewiesen, die infolge des Umbaus ihre orthogonale Formen verloren und halbkreisförmige erhalten haben, oder auch umgekehrt. Der Umbau dieser Kirchen, der zur Entstehung von Bauten führte, die die Form eines großen Saals ohne das im Vergleich zu dem Schiff engere Rechtseck des Presbyteriums hatten, beweist eindeutig, daß beide Varianten des Grundrisses eine Richtung in der mittelalterlichen Architektur bildeten, welche auch zugleich den einfachsten Typen des spätantiken Sakralbaus direkt entstammt. Diese Strömung nimmt in der europäischen Architektur in der Zeit vom 7. bis zum 10. Jahrhundert ein en wichtigen Platz ein, und dies nicht nur wegen der großen Anzahl dieser Bauten. Er wurde viel mehr mit dem oft hohen Rang der Einschiffskirchen verbunden, der einzig und allein mit der Art und Weise und dem Ausmaß ihrer liturgischen Benutzung zusammenhing. Die Form dieser Bauten entsprach allerdings nicht immer ihrer Bedeutung.