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DE
Beide Völker haben rechts-autoritäre und kommunistische Regimes erlebt. Gemeinsame Erfahrungen und daraus erwachsende Mentalitäten – so könnte man meinen – erleichterten die Verständigung. Da beide Länder sich für den Aufbau westlicher Demokratien entschieden haben, werden sie gemeinsam lernen müssen, das verbliebene Erbe von Obrigkeitsstaaten zu überwinden. Auch diese gemeinsame Aufgabe kann verbinden. Der deutsche Nationalsozialismus und die Vernichtung des polnischen Staates im Jahr 1939 durch deutsche und sowjetische Armeen erschweren andererse - its immer noch eine deutsch-polnische Verständigung. Obwohl Deutschland die polnische Westgrenze anerkannt und Wiedergutmachungszahlungen geleistet hat, bleiben auf polnischer Seite der Schmerz über erlittenes Unrecht und Misstrauen gegenüber dem Nachbarn. Von der Analyse dieser Ausgangslage her sollen im Vortrag mögliche Wege der Verständigung skizziert werden. Aber selbstverständlich genügt es heute nicht mehr, das bilaterale Verhältnis zweier Länder innerhalb der Europäischen Union in Augenschein zu nehmen. Vielmehr sind Polen und Deutschland Teil eines größeren Ganzen, und sie haben sich in diese größere Einheit einzufügen. Darüber hinaus erscheint es nützlich für die Analyse, nicht nur die Geschichte und Gegenwart Polens und Deutschlands zu betrachten, sondern auch die anderer europäischer Länder. Zu entdeckende Gemeinsamkeiten und Unterschiede können dazu beitragen, die eigene Geschichte besser zu verstehen und vermeintlich singuläre Konstellationen zu relativieren. Menschliches Verhalten – auch in Kollektiven – ist von anderen Faktoren bestimmt als bloß von nationaler Zugehörigkeit. Nicht nur in Deutschland und Polen gilt es natürlich, Stereotypen und Vorurteile abzubauen, die es über den jeweils anderen gibt und eine gemeinsame europäische Identität zu pflegen. So verständlich es ist, sich über die 1989/90 wieder gewonnene staatliche Souveränität zu freuen, so problematisch erscheint es andererseits, Paradigmen einer längst vergangenen Zeit zu revitalisieren. Deutschland wie auch Polen können nicht mehr auf die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückgreifen, wenn sie einen nationalen Identitätsprozess befördern wollen. Denn diesen Staaten fehlte es an demokratischem Selbstverständnis und zum Teil auch an demokratischer Legitimität. Darüber hinaus ist zu fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, vor dem Hintergrund einer anzustrebenden Stärkung europäischer Gemeinsamkeiten gleichzeitig auch nationalstaatliche Attitüden zu befördern. Seine Heimat zu lieben, muss nicht bedeuten, dass man nationalpatriotische Gefühle weckt. Bei der angeblichen Notwendigkeit von der Herausbildung einer nationalen Identität handelt es sich um eine Legende, von der wir uns endlich verabschieden sollten. Unser Identität stiftender Kommunikations- und Kulturraum umfasst mehr als nur ein Land. Trotz aller Eigentümlichkeiten und Besonderheiten sind die kulturellen Gemeinsamkeiten innerhalb der Europäischen Union eben doch größer als die Unterschiede.Im Blick auf die Vergangenheit soll die europäische Perspektive auf die Zukunft beileibe nicht die von Deutschen in der Vergangenheit begangenen Verbrechen relativieren. Aber es erscheint wichtig, die Vergangenheit konsequent zu historisieren und sie nicht mit gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben zu vermischen, die zum Vorteil dieser und der nächsten Generationen zu bewältigen sind. Auch eine Moralisierung der Vergangenheit und der Versuch, historische Begebenheiten zugunsten tagespolitischer Optionen zu instrumentalisieren, sollten unterbleiben. Solche Grundsätze entlasteten die Geschichtsschreibung von politischen Begehrlichkeiten und ermöglichten es der Politik, nach unvoreingenommenen Wegen für die Gegenwart und Zukunft zu suchen. Zur Realisierung einer solchen Sichtweise gehört ein sensibler Umgang mit Geschichte. So sollten Nationalstaaten den Eindruck vermeiden, als wollten sie mit Gedenkstätten und anderen nicht nur historischen, sondern eben auch geschichtspolitischen Memorialakten bestimmte Sichtweisen auf die Vergangenheit öffentlichwirksam zementieren, die ihre Nachbarn nicht teilen. Darum empfiehlt es sich, der gemeinsamen Vergangenheit auch gemeinsam zu gedenken, Kontroversen durchzuhalten und keine nationalen Alleingänge vorzunehmen. Insofern halte ich es für einen Fehler, dass Deutschland sich zur Errichtung einer nationalen Gedenkstätte gegen Vertreibungen entschlossen hat – selbst wenn in dieser auch jene Vertreibungen thematisiert werden, die andere erlitten haben. Zum Glück reagierte die neue polnische Regierung außerordentlich diplomatisch.In Deutschland wie in Polen schauen wir auf einen im Wesentlichen gelungenen Transformationsprozess von autoritären zu demokratischen Strukturen zurück, auch wenn eine mentale Vertiefung demokratischen Denkens und ein weiterer Abbau obrigkeitshöriger Muster noch notwendig erscheint. Demgegenüber muss Europa feststellen, dass die seit 1990 gehegten Erwartungen eines umfassenden Demokratisierungsprozesses auch in anderen Regionen der Welt nicht eingetreten sind. Dass es in Russland, Belarus und anderen Ländern inzwischen wieder konsolidierte autoritäre Staaten gibt, die der demokratischen Gesellschaftsordnung eine klare Absage erteilt haben, ist das gemeinsame Problem von Deutschen, Polen und anderen EU-Bürgern. Sich diesem Problem zu stellen, ist unsere gemeinsame Aufgabe. Sie sollte uns verbinden. Zur Lösung dieser neuen Probleme ist es freilich erforderlich, dass uns die Vergangenheit, der wir uns stets stellen wollen, nicht mehr trennt.
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